Harry Nolden, 1949
 
Ab 1958 konnte mein Vater allein für die große Familie sorgen. Seine Tournee begann in Münster mit dem Sendmarkt. Es folgten, Bremen-Vegesack, Lübeck, Kiel, das Hummelfest in Hamburg, das Hannover Schützenfest, der  Dürckheimer Wurstmarkt, Düsseldorf, der Cannstatter Vasen, der Bremer Freimarkt, der Hamburger Winterdom und ein Standplatz vor Weihnachten auf dem Jungfernstieg schloss das Jahr ab. Mehrere Male gastierte er auch in Luxemburg.
 
Er bekam viel Reklame durch die Presse und den Rundfunk, trat in verschiedenen Fernsehsendungen auf, sodass seine Popularität ständig wuchs.
Unter den nicht immer einfachen Bedingungen auf den Jahrmärkten hat er eine große Leistung vollbracht, viele Meisterwerke geschnitten und unzähligen Menschen eine große Freude bereitet. Er war ein echter Volkskünstler. Viele Menschen bewahren mit ihrem gelungenen Scherenschnitt auch die Erinnerung an einen glücklichen Moment in ihrem Leben auf.
 
AKTUELLE SCHAUBUDE mit Mike Krüger    1985
 
Harry und Ilse Nolden    Silhouette von Harry Nolden, 1985
 
Der zunehmende Krach auf den Volksfesten zermürbte die Nerven meines Vaters. 1965 kaufte er sich ein Haus auf dem Lande, im Süden Hamburgs in Klecken. Dort schöpfte er Kraft für seine aufreibende Tournee. In seinem Garten fand er die nötige Entspannung.
1977 baute er sich eine zusammenlegbare Bude, um sich den  täglichen Auf-und Abbau seines Standes zu ersparen und erhoffte davon auch einen Lärmschutz.
Seit über zwanzig Jahren arbeitete er auf dem Hamburger Dom mit dem Rücken zur Achterbahn.
 
Sommerdom Hamburg, 1978, Noldens Bude vor der Achterbahn
 
Und Harry Nolden frönte seiner ererbten Leidenschaft für das Reisen. Von jeher lag den Noldens das Reisen und der Ambulante Handel im Blut. Schon der Ururgroßvater Arnold Nolden (1769-1838 Köln) war von Beruf Steuermann, wohl auf den Lastkähnen, die den Rhein befuhren.
Besonders die Länder rund um das Mittelmeer, ihre Inseln und ihre Strände, zogen meine Eltern an.
 
     Harry und Ilse Nolden in Gibraltar,  1993
 
 
       Letztes Foto von Harry Nolden, 1998
 
 
 
Von der Reise
Von Brigitte Nolden
Als eine meiner ersten Kindheitserinnerungen sehe ich meine Eltern über einen Leuchtkasten gebeugt. Er steht auf unserem Küchentisch in der Meyerstraße in Hamburg-Harburg. Aus violetten Päckchen nehmen sie kleine, schwarze Papierschnitte, die sie mit einem Storchschnabel auf andere Papiere übertragen. Dann schneidet mein Vater mit einer spitzen Schere mit langen Hebeln das Motiv aus schwarzem Papier heraus. Meine Eltern stellten Sortimente mit Kopien nach Arbeiten von Nolden senior oder nach eigenen Entwürfen her und verkauften sie über den Kunsthandel. Das reichte bis zur Währungsreform gerade zum Überleben.
Ohne Jemanden um Erlaubnis gefragt zu haben, nagelte mein Vater 1948 sein kleines Tableau  an Vorlop‘s Mondrakete auf dem Hamburger DOM, und nahm sein erlerntes Familienhandwerk wieder auf.
Mit der Hilfe meiner Mutter begann er die großen Volksfeste und Jahrmärkte in Deutschland zu bereisen, mit dem gleichen Slogan wie sein Vater: 
Nach Ihrem Profil in 1 Minute



Harry Nolden, 1957

Bis Mitte der Fünfziger Jahre arbeitete meine Mutter bei den HARBURGER ANZEIGEN UND NACHRICHTEN um unsere siebenköpfige Familie mit zu ernähren. Auf engem Raum wohnten ihre Eltern und Maria Nolden bei uns in der Meyerstraße. Ihre Mutter führte den Haushalt, 1947 war mein Bruder Reinhard geboren.

 

Brigitte und Reinhard Nolden 1957 auf dem Originalkarton
den Harry Nolden bis 1985 verwendete (signiert)

In den sechziger und siebziger Jahren trug man ihm andere Aufgaben an. 
Er entwickelte Kinderspiele, machte Quiz-Vorlagen für Zeitungen oder wirkte in einem Kinofilm mit.  Schon als Studentin erledigte ich für ihn zahlreiche dieser Aufträge, wodurch ich meinen Einstieg in den Freien Beruf fand.
Während meines  Kunststudiums und bis ich ein eigenes Atelier einrichtete, war der Kontakt zu meinem Vater sehr eng. Er war stolz darauf, dass ich die kreative Familientradition weiterführte.    


   Mit der Opernsängerin Arlene Saunders              1969
Es kam in Mode bei Veranstaltungen einen Silhouettenschneider zu engagieren damit jeder der Gäste ein Geschenk erhielt.  Da war mein Vater der Begehrteste. 
Hier sieht man 1969 Harry Nolden in Aktion als Künstler auf dem von Dr. A. Körber veranstalteten Staatsopernfest  im Bergedorfer Schloss. 



            Harry Nolden, 1979 mit Ohrenschützern

Als ungewöhnlich scharfer Beobachter, sah mein Vater förmlich durch die Menschen hindurch. Wenn er seinen Schattenriss in  schier unglaublicher Geschwindigkeit erstellte, war der nicht nur von frappierender Ähnlichkeit, sondern durchdrang förmlich das Wesen und den Charakter seines Gegenübers.


    Brigitte Nolden, 1963, Silhouette von Harry Nolden
Die Noldens fuhren gern zu Ausgrabungsstätten „Trümmertouren machen“ nannten sie dies. Oder sie besichtigten die großen Städte, wie New York, London, Rom, Madrid, Istanbul, Athen, Prag und nie vergaßen sie einen Gang über die Märkte. 
     Aber auch auf die Spuren ihrer Vergangenheit, zu den Stätten ihrer Jugend, zog es sie. Auf ihrer Rundreise durch Frankreich, fuhren sie in  Paris auf den  Eiffelturm und stellten fest, dass es dort keinen  Silhouetten-Schneider mehr gab. 

Die Schausteller nennen einen der ihren „der ist von der Reise“. Das Fahrende Volk zog ohne  einen festen Wohnsitz von Platz zu Platz und wohnte in den Wohnwagen.  
Mein Vater und meine Mutter dagegen gingen gern in gute Hotels und speisten in feinen Restaurants. Wenn sie schon so hart arbeiten mussten, so wollten sie es doch so angenehm wie möglich haben. Da war mein Vater Künstler auch in seiner Lebensweise und versuchte meine Mutter auf den Reisen zu verwöhnen. Uns Kinder und später seine Enkel vergaß er nie. Von jeder Reise brachte er allen liebevoll ausgesuchte  Geschenke mit. Für seine Kollegen hatte er stets ein offenes Ohr, und so mancher erhielt durch seine Fürsprache einen guten Platz. 
Ein verschlepptes Lungenleiden, eine zu wenig beachtete Diabetes und eine chronische Bronchitis machten ihm schon lange zu schaffen. Nach einem Langzeiturlaub auf Djerba  verstarb Harry Nolden drei Monate nach einem Herzinfarkt am 8. Juli 1998. 
Seine letzte Reise tat er allein. Fast genau zwei Jahre später folgte ihm seine geliebte Ilse.   

 
 
 
Zurück........
Nolden-junior.htmlshapeimage_3_link_0
 
 
 
Ilse Nolden, 1948 an Vorlop‘s Mondrakete auf dem Dom
      ...weiter